Backstage bei den Thunerseespielen: An den Fersen des Bühnenmeisters

Christoph Imhof, auch bekannt als Chris, ist seit einer guten Dekade die unsichtbare Hand hinter den Kulissen. Ein Tag Backstage im Leben des Bühnenmeisters.

08:42

Rund um die Bühne der Thunerseespiele  ist alles noch ziemlich ruhig. Lediglich ein paar Kajaker umkreisen die Bühne. Die Sonne scheint durch ein paar wenige Wolken und das Wasser prallt in Wellen gegens Ufer.

09:06

Christoph Imhof, Bühnenmeister der Thunerseespiele erscheint auf dem Platz. In der Hand eine Dose Cola Zero. Seine Augen sind noch etwas verschlafen. Die Tage als Bühnenmeister sind gerade während des Aufbaus lang.

09:12

Chris verstaut sein Zeug in seiner kleinen, geordneten Werkstatt. Dann ein kurzer Blick aufs schwarze Brett. Der Plan für heute lautet wie folgt:

10:00 Uhr Proben mit Hund

12:00 Uhr Mittagspause

13:00 Uhr Vorbereitung für Proben mit Kindern

14:00 Uhr Proben mit Kindern und Tisch

15:30 Uhr Preset für Kostüm Proben am Abend

16:30 Uhr Einlass 1600 Schulkinder

17:00 Uhr Start Probe mit Publikum

Das Reich des Bühnenmeisters

09:16

Bevor der ganze Spass losgeht, gibt es noch eine Sicherheitseinführung. Die Proben sollen ja möglichst unfallfrei über die Bühne. Ein unfreiwilliger Sturz in den Thunersee, wäre daher eher unvorteilhaft.

09:29

Bei der Sicherheitsführung entstehen erste Eindrücke der Bühne und des Bühnenbilds. Chris ist bereits seit Mitte Mai fast täglich hier, dennoch scheint seine Begeisterung, als wäre es sein erster Tag.

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Blick in den Zuschauer*innenraum
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Rund 2700 Zuschauer*innen haben hier pro Vorstellung platz.

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Die Nursery
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In der West End Produktion des Stücks Mary Poppins besteht ein grosser Teil des Bühnenbilds aus einer grossen und durch Animation beweglichen Nursery. An den Thunerseespielen soll daran erinnert werden.

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St Paul’s Cathedral
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Im 1964 erschienen Film mit Julie Andrews, wie auch in der Neuverfilmung aus dem Jahre 2018 mit Emily Blunt ist die bekannte Londoner St. Paul’s Kathedrale zu sehen.

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10:00

Chris checkt vor den Proben, ob in der Soundabteilung oder wie er es gerne nennt bei den „Töhnler“ alles bereit ist. Dann wird es dunkel. Der komplette Strom ist ausgefallen.

10:04

Der Strom ist zurück! Vermutlich wurde auf der Bühne ein Staubsauger oder ähnliches in eine falsche Buxe gesteckt. Das passiere während dem Aufbau öfters. Jedenfalls stehen nun den Proben mit dem Hund nichts mehr im Weg. Beim Hund handelt es sich um Willoughby, welcher bereits bei der Erstverfilmung von Mary Poppins 1964 eine lustige Nebenrolle spielte. Jedoch erinnert der Willoughby der Thunerseespiele eher an einen Wischmopp als an einen Hund.

10:22

Die Proben für Willoughby sind noch in vollem Gange, der kleine Wuschel schiesst aus Kaminen, zappelt ums Zeug und sorgt schon während den Proben für Gelächter. Gleichzeitig werden am Bühnenbild noch die letzten Pinselstriche verübt. Chris hat alles im Überblick. Er ist überall zugleich.

10:41

Chris hilft Valerie, sie hat das gesamte Bühnenbild für das Stück bemalt. Da es sich bei Mary Poppins um eine Disney Produktion handelt, musste jedoch jeder Pinselstrich zuerst von einem der Disney Büros in London abgesegnet werden. Bei Neuinszenierungen muss stark auf das Copyright geachtet werden. Auch alle Kostüme, welche hier genäht wurden, Perücken, Requisiten und selbst das Bühnenbild musste von Disney genehmigt werden.

10:50

Zeit für Chris, einen Gang durch den Backstage zu machen. Der Backstage befindet sich bei den Thunerseespielen unter der Bühne. Es erinnert stark an eine Baustelle. Das ganze Konstrukt ist auf Rohre gebaut, gesamthaft wurden hier 41 km Rohre verbaut. Das Holz sind Bühnenteile aus vergangenen Produktionen. Chris baut seit Mitte Mai daraus Boden, Wände und Türen. Die gesamte Bühne ist geerdet, damit Sie auch bei Gewittern sicher ist. Das war vor allem bei diesem Bühnenbild wichtig. Die Bühne symbolisiert den umgedrehten Regenschirm von Mary Poppins, der Stock des Schirms reicht weit in den Himmel hoch, der perfekte Blitzableiter also.

11:22

Die Sonne klettert immer höher am Himmel, dementsprechend steigen auch die Temperaturen auf der Bühne und im Backstage. Deshalb legt Chris eine kurze Trinkpause in seiner Werkstatt ein. Sonnencreme, Hut und Sonnenbrille sind ein Muss. Chris ist auch schon gut gebräunt, vielleicht sogar etwas rot und das trotzdem nassen Sommer.

11:36

Bevor es in die Mittagspause geht, spricht Chris noch mit seiner Crew. Er macht eine Liste der Dinge, die noch gemacht werden müssen, damit die Probe mit den Kindern pünktlich um 14:00 Uhr starten kann.

12:00 / Mittagspause

Um Punkt 12:00 Uhr ist auf der Bühne Schicht im Schacht. Bis um Eins darf hier kein Finger mehr gerührt werden, denn ieder Ton, der auf der Bühne passiert, wird durch den See verstärkt. Da haben die Nachbarn in Thun und rund um den Thunersee so gar keine Freude! Auch am Abend müssen die Zeiten streng eingehalten werden. Von 20:00 Uhr bis 08:00 Uhr gilt Ruhe. Es gibt nur ein paar wenige Ausnahmen, während den Shows darf länger gespielt werden und auch ein paar wenige Proben dürfen am Abend vonstattengehen.

Wer verbirgt sich hinter der Rolle des Bühnenmeisters?

13:00

Kaum ist die Ruhezeit vorbei, steht Chris wieder auf Platz. Der Backstage beginnt sich nun immer mehr zu füllen. Die ersten Schauspieler*innen wuseln bereits durch die Garderoben und auch in der Kostümabteilung und bei den Requisiten beginnt man auf Hochtouren zu arbeiten. Alle Kostüme wurden hier für diese Show genäht und auch hier wieder, erst nachdem die Skizzen von London durchgewunken wurden.

13:08

Auch in der Maske tut sich langsam was. Das instand halten der Perücken und Schnäuze ist sehr Zeit intensiv. Jede einzelne Perücke wurde für eine spezifische Person angefertigt. Sie sind von Hand gemacht und bestehen aus echtem Haar. Das Haar wird dann an einen Netzartigen Stoff geknüpft, der ist auf der Haut kaum mehr zu sehen und es entsteht ein möglichst natürlicher Haaransatz. Weil jede der Perücken auf eine spezifische Person angefertigt wird, manchmal sogar mehrere pro Person, sollte diese auch mehrere Rollen verkörpern, dürfen die Schauspieler*innen ihren Haarschnitt und ihre Haarlänge während den Produktionen nicht verändern. Sonst würden die Perücken nicht mehr passen. Auch alle Schnäuze wurden von Hand gemacht.

13:20

Chris ist bereits wieder auf der Bühne und bereitet alles auf die Probe mit den Kindern vor. Es wird die Küchenszene geprobt. Die Kinder veranstalten in der Küche ein riesen Chaos und bringen sogar den Küchentisch zum Einsturz, den wird Mary Poppins danach wieder heil zaubern. Der Tisch wurde deshalb speziell gebaut. Bevor die Proben losgehen, muss der Tisch zuerst mit Druck befüllt werden, dieser wird während des Stücks auf Knopfdruck entweichen und den Tisch in sich zusammen fallen lassen.

13:32

Aktuell schafft Mary Poppins nur jedes zweite Mal den Tisch heil zu zaubern. Dazwischen bleibt er auf halber höhe stehen. Für Chris ist das nicht gut genug, da wird er nochmals mit der Zange ran müssen. Der Tisch fällt aber nicht nur in sich zusammen, er raucht und lässt einen Kuchen explodieren.

14:03

Die Probe mit den Kindern und dem Tisch beginnen. Chris muss den Tisch ganze dreimal wieder aufstellen und herrichten. Nicht ganz einfach, denn die Sonne klatscht nun mit voller Kraft auf die Bühne, Schatten gibt es keinen.

15:15

Die Probe ist fertig, jetzt muss Chris den Tisch ein letztes Mal herrichten. Am Abend ist die erste volle Probe mit Kostümen und allem drum und dran. Eigentlich hätte eine Kostümprobe bereits stattfinden sollen, die musste jedoch wegen starkem Regen abgebrochen werden. Zudem schauen heute schon 1600 Schulkinder aus der Region bei der Probe zu. Leichte Nervosität ist im ganzen Backstage zu spüren.

15:30

Chris beginnt mit seinem Preset für die Show. Ein Preset ist zu vergleichen mit dem Mise en place bei der Köchin. Alle Requisiten, Kostüme und Technik wird am richtigen Ort bereitgestellt, damit während der Show alles möglichst schnell und reibungslos über die Bühne geht.

16:30

Die Türen werden geöffnet und der Einlass der Schulkinder beginnt. Im Backstage kommt eine Durchsage: „The house is now open people, the house is now open“. Ab jetzt darf niemand mehr über die Bühne laufen. Im Backstage wärmen sich die Schauspielerinnen schon auf. Aus allen Ecken sind Stimmübungen zu hören und die Tänzer*innen dehnen sich in den Gängen.

16:50

Der Regisseur begrüsst die Schulklassen und hält eine kurze Ansprache. Er erklärt nochmals, dass es sich hierbei um eine Probe handelt und somit gewisse Dinge noch schiefgehen können oder auch wiederholt werden müssen. Chris ist derzeit Backstage unterwegs und checkt bei seinem Team, ob alle bereit sind und schon am richtigen Ort stehen.

17:00

Das Orchester beginnt zu spielen. Der Zuschauer*innenraum verstummt. Für einen ganz kurzen Moment scheint alles stillzustehen, dann beginnt alles hinter der Bühne zu leben. Die Schauspielerinnen stehen alle an ihren Plätzen. Die Techniker tragen bereits die ersten Requisiten hin und her. Kostüm und Maske stehen bereit, um den Schauspieler*innen möglichst schnell aus ihrem aktuellen und in ihr nächstes Kostüm zu wechseln.

17:05

Show Stopp! Schon nach den ersten fünf Minuten muss die Show unterbrochen werden. Eines der Headsets der Technik funktioniert nicht. Acht Minuten passiert auf der Bühne gar nichts, dann die Ansage: Wir steigen beim Cue Katy Nana wieder ein.

17:45

Während dem Durchlauf ist Chris die Anlaufstelle für alle Fragen, Probleme und Änderungen. Mit dem Cuesheet in der Hand verfolgt er gebannt den Backstage. Auf dem Cuesheet stehen gut über 100 sogenannte „Cues“, diese erklären, wann während der Show, was gemacht werden muss und von wem. Zum Beispiel, wer denn Tisch, wann durch eine geheime Luke auf die Bühne schieben muss. Aktuell gibt es für jede Probe noch ein neues Cuesheet, denn bei jeder Probe werden gewisse Dinge wieder angepasst, verschoben oder von anderen Personen übernommen. Chris behält also alles im Auge und schreibt mit, damit er das Cuesheet am nächsten Morgen wieder updaten kann.

18:15 / Pause

Während das Publikum 20 Minuten Pause erhält, wird Backstage der Preset für den 2. Akt vorbereitet. Chris spricht noch mit ein paar der anderen Abteilungen, bis jetzt scheint die Probe mehr oder weniger gut zu verlaufen. Gewisse Fehler gehören bei Proben halt auch dazu.

18:35

Das Orchester stimmt zum 2. Akt ein. Die Sonne geht langsam unter, was allesamt hinter der Bühne freut. Gerade für die Schauspieler*innen ist die Hitze unter den schweren, dicken Kostümen sehr anstrengend. Chris und sein Team gehen in den Endspurt für die Show.

19:35

Die Probe ist fertig. Nach einem lauten Applaus verlässt das Publikum die Tribüne. Zeit für Chris und sein Team, die Bühne und das ganze Set wetterfest zu machen. Auch bei Produktionen im Theater 11 müssen die Techniker nach der Show alles versorgen und absichern. Bei den Thunerseespielen ist das ganze jedoch noch etwas intensiver, da die Bühne ja komplett im freien steht.

20:25

Chris schickt sein Team in den Feierabend. Für ihn ist der Tag aber noch nicht zu Ende!

21:00

Heute gibts für Polizei, Feuerwehr und das Management der Produktion eine Sicherheitsführung des gesamten Geländes. Da darf der Bühnenmeister nicht fehlen, die Sicherheit liegt schliesslich auch in seinem Aufgabenbereich.

22:30

Die letzten Leute vom Kostüm, der Maske und den Requisiten verlassen den Backstage. Zeit für Chris einen letzten Gang durch alle Räume zu machen, Lichter zu löschen, alles zu sichern und abzuschliessen.

22:45

Nun verlässt auch der Bühnenmeister als letzter das Gelände. Gut 20’000 Schritte hat er schon gemacht und zu Hause ist er noch nicht. Ein gelungener Tag, wenn auch lang.

Sidestory

Seit Jahren nistet ein „Taucherli-Paar“ in unter der Bühne der Thunerseespiele. Sie gelten inzwischen als Maskottchen der Thunerseespiele. Durch den vielen Regen diesen Sommer war aber alles sehr unstabil. So hat das Technikteam dem Paar kurzerhand ein Nistplatz gebaut. Ganze fünf Eier hat das Paar dieses Jahr gelegt.


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